// SAP S/4HANA Transformation

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Die Vorteile der Standardisierung

Die Vorteile der Standardisierung

Dr. Volker Bätz

18.09.2024

15 Min.

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Die Vorteile der Standardisierung

Einführung in die Standardisierung

Der immense Vorteil der Standardisierung von Technologien erschließt sich jedem sofort, der irgendwann im Laufe seines Lebens nach dem richtigen Adapter oder Ladekabel gesucht hat. Doch in ökonomisch orientierten Bereichen geht die Rolle der Standardisierung weit über die technologische Kompatibilität hi­naus. Gerade für Unternehmen und ihre immer komplexer werdenden IT-Strukturen besitzt diese Thematik nicht nur eine zentrale, sondern vor allem stetig wachsende Bedeutung. So sind das effiziente Manage­ment und die Weiterentwicklung von konfigurierbaren ERP-Systemen ohne valide und nutzbare Standards undenkbar, was sich beispielsweise bei der Transformation von netzwerkbasierten SAP-ECC-Systemen hin zu SAP S/4HANA® deutlich zeigt.

Doch was verbirgt sich genau hinter dem Begriff der Standardisierung, und warum ist er so entscheidend?

Zunächst einmal versteht man unter der Standardisierung die Schaffung einheitlicher Prozesse, Daten­strukturen und Systemkonfigurationen innerhalb einer Organisation. Ziel ist es, durch diese Einheitlichkeit die Integration verschiedener Geschäftsbereiche zu erleichtern, die Datenkonsistenz zu verbessern und die Komplexität des Systemmanagements zu verringern. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung der IT-Ressourcen und einer langfristigen Reduzierung der IT-Kosten. Aber die Standardisierung kann vielerlei Formen annehmen, sie kann beispielsweise internen oder externen Standards genügen, oder sie kann sich auf unterschiedlichste Technologien und Lösungen beziehen. Und ist die Abweichung von einem Standard per se immer schlecht? Sicherlich nicht, aber wie so oft macht die Dosis das Gift. Zielgerichteter und nut­zenorientierter Einsatz dieser Abweichungen können sich positiv auf Wertschöpfung und Alleinstellung auswirken. Doch dazu ist es entscheidend, dass man auch weiß, was man tut. Doch beginnen wir vorn, mit der Bedeutung der Standardisierung und ihrem Nutzen.

Die Bedeutung der Standardisierung im Transformationsprozess

Grundsätzlich bedeutet der Übergang von Client- Server-basierten ERP-Systemen zu cloudbasierten Lösungen einen Paradigmenwechsel. Für SAP-An­wender trägt diese Veränderung das Gesicht von SAP S/4HANA® und auch dies stellt einen bedeu­tenden technologischen Wandel dar. Dieser bietet Unternehmen zahlreiche Vorteile, bringt jedoch auch große Herausforderungen mit sich. Dabei ist die grundlegende Einschätzung von Seiten des Herstellers zunächst überaus positiv. SAP® Chief Evangelist für Cloud ERP Paul Saunders betonte in einem Interview, dass „75-80% aller Unternehmen auf der Welt genau gleich sind.“ Diese Aussage verdeutlicht, dass die grundlegenden Geschäfts­prozesse in den meisten Unternehmen weitgehend standardisierbar sind und damit potenziell von Syn­ergie- und Spezialisierungseffekten profitieren kön­nen. Denn Standardisierung ist auch der Schlüssel zur Nutzung von bewährten System- und Branchen-Best Practices sowie zur Vermeidung unnötiger und auf­wändiger Prozessvarianten. Damit kann nicht nur die Effizienz der Systeme und Prozesse gesteigert werden, der Integrationsgrad verschiedener Ge­schäftsbereiche, Standorte und Abteilungen kann ebenfalls verbessert werden. Der Clean-Core-Ansatz spielt dabei eine zentrale Rolle. Einen „sauberen ERP-Kern“ zu haben bedeutet, dass Unternehmen ihre Systeme so gestalten, dass sie auf standardi­sierten und methodisch kompatiblen Prozessen und Datenmodellen basieren. Dies führt zu einer stabi­leren und wartungsfreundlicheren IT-Landschaft, die es ermöglicht, die existierenden Systemvorteile und kommende Innovationen voll auszuschöpfen. Eine saubere Kernstruktur erleichtert die Einfüh­rung neuer Technologien und Funktionalitäten und reduziert gleichzeitig die Abhängigkeit von kost­spieligen und komplexen Anpassungen.

Wenn es um die Nutzenargumentation für Stan­dardisierungsprojekte geht, so können viele der angebrachten Argumente sicherlich kontrovers diskutiert werden. Immerhin ergeben sich im Zuge der Individualisierung von IT-Lösungen auch positive Effekte, wie gesteigerte Akzeptanz, hö­here Ergonomie oder sogar die Unterstützung von Wettbewerbsvorteilen. Dennoch stehen dem auch etliche Argumente für eine Erhöhung des Standardisierungsgrades gegenüber, von denen einige in der folgenden Liste genannt werden:

  • Effizienzsteigerung: Standardisierte Prozesse und Methoden ermöglichen eine schnellere Im­plementierung und reduzieren den Bedarf an An­passungen. Dies führt zu einer kürzeren Projekt­laufzeit und geringeren Implementierungskosten.

  • Kostensenkung: Durch die Reduzierung von Anpassungen und den Einsatz von Best-Practice-Lö­sungen können Unternehmen die Gesamtbetriebs­kosten senken. Standardisierte Lösungen sind in der Regel weniger wartungsintensiv und erfordern we­niger spezialisierte IT-Ressourcen.

  • Qualitätsverbesserung: Standardisierte Pro­zesse basieren auf bewährten Best Practices, die sich in der Praxis bewährt haben. Dies führt zu ei­ner höheren Prozessqualität und einer geringeren Fehlerquote.

  • Skalierbarkeit: Standardisierte Lösungen er­möglichen es Unternehmen, ihre Systeme und Prozesse einfacher zu skalieren, um mit Wachstum und Veränderungen im Geschäftsumfeld Schritt zu halten. Dies ist besonders wichtig in dynamischen Märkten.

  • Compliance und Sicherheit: Durch den Einsatz standardisierter Prozesse und Funktionen können Unternehmen sicherstellen, dass sie die gesetzli­chen und regulatorischen Anforderungen besser erfüllen. SAP S/4HANA® bietet integrierte Compli­ance- und Security-Funktionen, die durch Standar­disierung besser nutzbar sind.

  • Innovation und Agilität: Standardisierte Sys­teme ermöglichen eine schnellere Einführung neuer Funktionen und Technologien.

Unternehmen können schneller auf Marktverände­rungen reagieren und innovative Lösungen umset­zen, ohne umfangreiche Anpassungen vornehmen zu müssen.

  • Bessere Datenqualität und Transparenz: Standardisierte Prozesse und Datenmodelle führen zu einer konsistenteren und qualitativ hochwertige­ren Datenbasis. Das verbessert die Entscheidungs­findung und ermöglicht eine bessere Transparenz über alle Geschäftsbereiche hinweg.

  • Vereinfachte Integration: Standardisierte Schnittstellen und Integrationsmöglichkeiten er­leichtern die Anbindung von SAP S/4HANA® an andere Systeme und Anwendungen. Dies reduziert den Aufwand für die Integration und ermöglicht eine reibungslosere Kommunikation zwischen ver­schiedenen Systemen.

  • Zukunftssicherheit: Durch den Einsatz stan­dardisierter Lösungen bleiben Unternehmen auf dem neuesten Stand der Technik und können leich­ter auf zukünftige Entwicklungen und Updates reagieren.

Herausforderungen und Widerstände

Trotz der klaren Vorteile ist die Standardisierung kein einfacher Prozess und kann auf erhebliche Herausforderungen stoßen. Unternehmen, die über Jahre hinweg individuelle Anpassungen vorgenom­men haben, treffen häufig auf Widerstände, wenn es darum geht, diese Anpassungen aufzugeben und einheitliche Standards einzuführen. Geschäfts­bereiche, die sich an ihre spezifischen Prozesse und Konfigurationen gewöhnt haben, sind oft skeptisch gegenüber Veränderungen. Diese Skepsis kann den Standardisierungsprozess verlangsamen und erfor­dert eine sorgfältige Planung und Kommunikation. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der erhebliche Aufwand, der mit der Standardisierung verbunden ist. Die Umstellung auf standardisierte Prozesse er­fordert ein umfangreiches Prozess-Reengineering, das oft mit einer umfassenden Datenbereinigung einhergeht. Unternehmen müssen ihre bestehen­den Prozesse gründlich analysieren und bewerten, um festzustellen, welche Anpassungen notwendig sind. Dies kann zeitaufwändig und ressourcenin­tensiv sein, was Unternehmen vor zusätzliche Her­ausforderungen stellt. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Standardisierung auch kulturelle und organisatorische Veränderungen erfordert. Mitarbeiter müssen bereit sein, sich auf neue Pro­zesse und Arbeitsweisen einzulassen, was oft eine Schulung und Sensibilisierung für die Vorteile der Standardisierung erfordert. Ohne die Unterstüt­zung der Belegschaft kann der Standardisierungs­prozess ins Stocken geraten und die angestrebten Effizienzgewinne bleiben aus.

Dabei sind Motivation und Überzeugung in den meisten Fällen nicht das Problem. Die Argumenta­tion für eine Erhöhung des Standardisierungsgra­des ist ja durchaus überzeugend. Vielmehr erge­ben sich deutliche Schwierigkeiten bei der Frage nach dem „Wie“.

Der Weg zur erfolgreichen Standardisierung: Ein systematischer Ansatz

Um diese Frage zu beantworten, braucht es wie so oft einen systematischen und strukturierten Ansatz, der auf den richtigen Informationen und Fakten basiert. Dabei kann man in mehreren Schritten vorgehen:

  1. Ein wegweisender erster Schritt besteht in einer umfassenden Analyse der bestehenden System-und Prozesslandschaft, bspw. unter Verwendung des RBE Plus Ansatzes der IBIS Prof. Thome AG. Dabei sollten alle relevanten SAP- und Nicht-SAP-Systeme sowie die damit verbundenen Datentypen be­rücksichtigt werden. Ziel ist es, die aktuellen Prozesse zu evaluieren und damit die realen Wertschöp­fungsaktivitäten, Lösungsroutinen und Unternehmensspezifika zu identifizieren. Durch diese umfassende Analyse können Unternehmen nicht nur ein vollständiges Bild ihrer aktuellen Landschaft gewinnen und die Schwachstellen identifizieren, sondern eben auch eine klare Einsicht in das, was sie unbedingt brauchen. Dabei sollte sich diese Analyse nicht auf die oberflächlichen Prozesse beschränken, sondern auch die tiefe­ren Schichten der Systemarchitektur einbeziehen. Dazu gehören Stammdaten, Prozessdaten, Konfiguratio­nen und ausführbare Dateien sowie die technische Infrastruktur, die die Systeme unterstützt.


  2. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen in einem konsekutiven Schritt auf ihre Standardisierbarkeit ge­prüft werden. Dabei gilt es die unterschiedlichen Perspektiven zu berücksichtigen. So können die gefun­denen Ergebnisse gegen Standards abgeprüft werden, die sowohl unternehmensspezifisch, industriespezi­fisch oder herstellerseitig vorgegeben sind. Gerade letztere sind vor dem Hintergrund einer SAP S/4HANA® Transformation hochgradig relevant, denn sie beinhalten die Potenziale und Innovationen, die mit einer derartigen Systemmigration einherkommen.


  3. Ausgehend von den gefundenen Detailinformationen müssen die daraus resultierenden Möglichkei­ten, Handlungsbedarfe und Potenziale abgeleitet werden. Ein wichtiger Aspekt der Standardisierung stellt dabei die Bewertung des internen Harmonisierungspotenzials dar. Denn in der Vereinheitlichung von Pro­zessen und Datenstrukturen entsteht auch das Potenzial der Zusammenführung bisher abgegrenzter In­selsysteme. Die Ausbildung konkreter Maßnahmen schließt auch die Identifizierung des Bereinigungspo­tenzials ein, sei es durch das Entfernen ungenutzter Daten und Funktionalitäten oder durch die Rückkehr zu Standardoptionen. Ein sauberes und standardisiertes System erhöht die System- und Prozesssicherheit sowie die Zuverlässigkeit und trägt dazu bei, die Kosten unter Kontrolle zu halten. Die Fokussierung auf kundenspezifische Änderungen ist dabei ebenfalls entscheidend. Es ist wichtig, dass Unternehmen den Standardisierungsprozess nicht als Einheitslösung verstehen, sondern als Grundlage, auf der spezifische, geschäfts- und wertkritische Prozesse gezielt angepasst und optimiert werden können. Dies stellt sicher, dass die einzigartigen Anforderungen des Unternehmens weiterhin berücksichtigt werden, während gleichzeitig die Vorteile der Standardisierung genutzt werden.

Die Botschaft wurde verstanden, aber wie fange ich an?

Damit Ihr Standardisierungsprojekt erfolgreich und fristgerecht stattfinden kann, braucht es kon­krete Handlungen und eine zielführende Strategie. Aus den zahlreichen Projekterfahrungen der IBIS Prof. Thome AG wollen wir sechs Tipps mit Ihnen teilen, die für Ihr Vorhaben hilfreich sein sollten:

  1. Wenn es um die Erfassung und Planung eines Standardisierungsprojektes geht, dann sollten sie bald­möglichst damit beginnen. Im Minimum wird der Erkenntnisgewinn aus der Ist-Analytik Ihnen helfen, Ihre Systemeffizienz zu erhöhen und Planungsunsicherheiten zu reduzieren, selbst wenn Sie bis zur geplanten Umsetzung bspw. einer Transformation noch Monate oder Jahre haben.



  2. Zur Bewertung Ihrer aktuellen Situation sollten Sie sich nicht auf subjektive Einschätzungen oder veralte­te Dokumentationen verlassen. Nutzen Sie die Möglichkeit versatiler Tools, welche alle Datenperspektiven einbeziehen (360 Grad) und Ihnen einen unabhängigen Blick auf die wesentlichen Leistungsmerkmale Ihrer Systeme erlauben – ohne die notwendige Komplexität zu vernachlässigen. Investieren Sie hier in schnelle und solide Erkenntnisse, nicht in den langfristigen Aufbau kostspieliger Ressourcen. Wichtige Fra­gestellungen für die Bewertung sollten unter anderem sein: Wie hoch ist die Varianz der Prozesse? Welche Verbesserungen sind möglich und machbar? Wie sicher und aktuell sind meine Systeme?


  3. Projizieren Sie das Ist in Richtung des möglichen Seins. Nur wenn Sie in der Lage sind, Ihren Ist-Zustand mit den möglichen Veränderungen einer Transformation zu koppeln, verstehen Sie den vollen Wert der Standardisierung.


  4. Definieren Sie Ihre Ziele - Pflichtaufgaben, wertkritische Elemente und Innovationspotenziale – die im Verlaufe Ihres Standardisierungsvorhabens iterativ abgeprüft werden. Sicherlich passen sich diese Vorga­ben im weiteren Geschehen an, doch die Verfolgung von Zielvorgaben ist gerade vor der Vielfältigkeit der Aufgaben absolut notwendig.


  5. Erwägen Sie, aufbauend auf der Standardisierung, eine Bereinigung von Systemen und Prozessen, um sich auf kommende Veränderungen vorzubereiten. Umso wichtiger, dass diese Aktivitäten rechtzeitig und umsichtig begonnen werden können, um die folgende Umsetzungsprojektierung nicht zu verzögern oder zu beeinträchtigen.


  6. Parallel dazu sollten Unternehmen auch die Akzeptanz ihrer Mitarbeiter nicht vernachlässigen. Die Einführung standardisierter Prozesse erfordert oft eine Veränderung der Arbeitsweise, die von den Mitar­beitern mitgetragen werden muss. Durch gezielte Schulungen und Kommunikationsmaßnahmen können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter die Vorteile der Standardisierung verstehen und bereit sind, die notwendigen Veränderungen umzusetzen.

Standardisierung ist mehr als nur ein technischer Prozess; sie ist ein strategischer Ansatz, der Unterneh­men dabei unterstützt, ihre ERP-Systeme auf die Anforderungen der Zukunft auszurichten. Trotz der Herausforderungen, die dieser Prozess mit sich bringt, sind die langfristigen Vorteile einer standardisier­ten System- und Prozesslandschaft unbestreitbar. Unternehmen, die diesen Weg einschlagen, legen das Fundament für eine erfolgreiche Transformation und sichern sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.

Durch die Fokussierung auf einen sauberen ERP-Kern, die Identifizierung und Bereinigung von unnöti­gen Anpassungen sowie die Synchronisierung von Prozessen und Datenmodellen können Unternehmen die Vorteile der Standardisierung voll ausschöpfen. Dieser Ansatz hilft nicht nur dabei, die System- und Prozesssicherheit zu erhöhen, sondern auch die Position des Unternehmens im Markt zu stärken und auf die Zukunft vorzubereiten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer sorgfältigen Planung, einer umfassenden Analyse der bestehenden Systeme und Prozesse sowie in der Einbeziehung aller relevanten Stakeholder. Mit einer klaren Strategie und der Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen, können Unternehmen die Vorteile der Standardisierung voll ausschöpfen und ihre Position im Markt nachhaltig stärken.