Dr. Volker Bätz
05.07.2024
Inkompetenzkompensationskompetenz
Die Kunst, das eigene Unvermögen vor sich selbst und anderen zu verschleiern
„Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.“ Benjamin Franklin
Es gibt Situationen, da fühlen sich alle Alternativen gleichermaßen richtig und falsch an. Viele SAP-Kunden kennen dieses Dilemma nur zu gut, und gerade in letzter Zeit trägt es vor allem das Gesicht der Transformation zu SAP S/4HANA. Denn diese ist geprägt von drohenden Zwängen wie dem Wartungsende von SAP ECC, aber auch von Innovationen und neuen Möglichkeiten. Gerade Letztere sind für die meisten Kunden eher unklar, sowohl in ihrer Wirkungsweise als auch der Anwendbarkeit im realen Unternehmenskontext.
Aus dieser Unsicherheit heraus stellen sich viele Fragen, von denen nur eine Auswahl hier genannt sein will:
Was bietet mir SAP S/4HANA eigentlich an Mehrwert und Perspektiven?
Setze ich vielleicht eher auf den Wechsel zu einem anderen Anbieter?
Wenn meine Wahl auf SAP S/4HANA fällt, gehe ich in die Public oder die Private Cloud?
Und was bedeutet das überhaupt für die Lösungen meiner Systemlandschaft, für die einzelnen Regionen und Organisationseinheiten, für Third-Party-Lösungen und Schnittstellen?
Macht es denn überhaupt Sinn, all das, was ich bisher getan habe, auch so in Zukunft mit einer neuen Lösung zu tun?
Und wenn meine System- und Prozesslandschaft zu komplex ist, wie führe ich die Transformation in mehreren Schritten durch, um ERP-Systeme zusammenzuführen und zu konsolidieren?
Wie die Entscheidung auch ausfällt, eines ist sicher – man muss sich ihr stellen, denn das Ende der Maintenance schwebt wie ein drohendes Fallbeil über dem eigenen Haupt. Genau hier liegt dann auch die Crux, denn diese kritische Wahl kann meine Möglichkeiten auf Jahre und Jahrzehnte beeinflussen und prägen. Wie gut, wenn man hier über die richtigen Kompetenzen und Informationen verfügt, um die digitalen Weichen in Richtung Cloud zu stellen.
Nur, kann ich mir dabei auch wirklich sicher sein? Die Erfahrung zeigt, dass viele Projekte hinter den gesetzten Erwartungen und ambitionierten Vorstellungen zurückbleiben müssen. Denn vor dem Hintergrund der Business-Realität zeigt sich oft schnell, dass Ziele revidiert und Planungen angepasst werden müssen. Diesen Umstand erzwungener Planänderungen kann man auch lapidar als unfreiwilligen Brownfield-Ansatz bezeichnen, beispielsweise wenn die Selective Data Transition im Verlauf immer mehr der geplanten innovativen Neuerungen verliert oder der ambitionierte Greenfield-Approach letzten Endes zu einem Project Turnaround führt.
In jedem Fall ist diese Entwicklung weder gewollt noch geplant. Daher ist es wichtig, sich die Beweggründe dieser drohenden Plandisruptionen vor Augen zu halten, indem wir auf die Gründe und Auswirkungen eingehen, die dazu führen. Um abschließend auch die Möglichkeiten zu diskutieren, wie Fallstricke und Hindernisse rechtzeitig erkannt und umgangen werden können.
Warum viele Transformationen schiefgehen
Bevor wir uns den Gründen für ein mögliches Scheitern widmen, ist es notwendig, die Besonderheiten und Spezifika der Transformationsstrategien genauer zu analysieren – auch wenn den meisten Lesern die Unterschiede klar sein sollten:
Der “Greenfield”-Ansatz bedeutet, auf der grünen Wiese neu anzufangen und die SAP-Prozesse neu zu gestalten. Alle kundenindividuellen Anpassungen und Entwicklungen, an die man sich gewöhnt hat, werden hinfällig, schaffen jedoch mitunter Platz für neue und standardnahe Lösungen. Ein Greenfield-Ansatz ermöglicht es Unternehmen, Transformationsobjekte im Voraus zu definieren, was zu niedrigeren Gesamtbetriebskosten und schnellerer Wertschöpfung führt. Eine wesentliche Herausforderung jedoch besteht in der Selektion und Migration der relevanten Daten.
Von „Brownfield“ oder „Conversion“ spricht man in der Regel, wenn eine bestehende SAP-Implementierung aufgerüstet wird, anstatt sie zu transformieren. Dieser Ansatz ermöglicht die Migration bestehender SAP-Systeme auf SAP S/4HANA, hinterfragt jedoch die bestehenden Abläufe und Strukturen nur rudimentär durch Selektion bzw. Grobanpassung. Wer den Brownfield-Ansatz wählt setzt meist auf nachgelagerte Weiterentwicklungen und Innovationen im Zuge einer späteren Migration von einer SAP S/4HANA-Version auf die nächste.
Nur wenige Kunden sind bereit, völlig von vorne mit einer Greenfield-Strategie anzufangen, oder im Zuge des Brownfield-Ansatzes auf mögliche Innovationen zu verzichten. Die Lösung dieses Dilemmas heißt „Selective Data Transition“ (SDT). Gerade im Szenario komplexer Landschaften und verteilter Anwendungen mit hoher Nutzungsintensität und Datenmengen empfiehlt sich dieser „Hybrid“-Ansatz, der jedoch auch für kleinere Systeme der ideale Lösungsweg sein kann.
Aber wie zahlt diese strategische Entscheidung ein auf die Erfolglosigkeit von Transformationsprojekten? Indem wir uns die Gründe vor Augen halten, warum Projekte scheitern oder ihre gesetzten Ziele nicht erreichen können, wird dies schnell klarer.
Der Standardisierungsgrad der Prozesse braucht die Berücksichtigung aller relevanten Daten und Perspektiven
Dies gilt nicht nur für SAP S/4HANA Transformationen, man kann aus der Revision der Projekterfahrungen der letzten Jahre bestimmte Muster ableiten, die hier besonders typisch sind. In der folgenden Liste haben wir überaus prägnante Ursachen zusammengetragen, die bei einer Transformation nicht nur negative, sondern sogar fatale Konsequenzen haben können:
Unkenntnis über die eigenen Prozesse und damit die echte Systemnutzung
Die Meinungen gehen auseinander, welche Rolle umfassende Kenntnisse der bestehenden und gelebten Unternehmensprozesse, Weiterentwicklungen und Anpassungen in welchem strategischen Ansatz spielen, vor allem mit Blick auf die eigenen Wertschöpfungsmodelle und Prioritäten. Die Antwort darauf ist simpel: sie haben immer höchste Priorität. Wer seine realen Bedürfnisse nicht kennt, der wird diese weder richtig formulieren noch letzten Endes in Software gießen können. Weiterführende Aufgabenstellungen wie vorbereitende Clean-Ups von Daten und Konfiguration oder die Umsetzung von Custom Code auf neue technologische Bedingungen hängen hochgradig von der vollständigen Erfassung des Ist-Zustandes ab.Ahnungslosigkeit über die wahren Möglichkeiten und Potenziale der neuen Software
Dieser Mangel führt schnell zum Ausschluss von Wertschöpfungspotenzialen. Insbesondere die logische Verbindung von Funktionalitäten des Altsystems mit den nachfolgenden Einsatzmöglichkeiten, und vor allem deren Wechselwirkung auf Prozessinnovationen spielen hier eine große Rolle. Diese Verbindung erfordert hohes Anwendungswissen beider Technologien und insbesondere bei den Eigenentwicklungen und -anpassungen kann dieser Zusammenhang nur schwer bewertet werden.Die Fähigkeiten und Kapazitäten der eigenen Projektteilnehmer sind nicht klar
Unkenntnis über die echten Ressourcen und Skills vernebeln die Sicht auf eine effiziente Projektsteuerung ebenso wie mangelnde Erfahrungen mit den Erfordernissen und Restriktionen der Software. Diese Rigidität führt zu mangelhafter Planbarkeit und damit zu Engpässen. Insbesondere weil die meisten Schlüsselressourcen nicht nur in diversen Projekten beschäftigt sind, sondern sich zumeist primär den Erfordernissen des Tagesgeschäftes widmen sollten. Man verlässt sich auf Herstellerinformationen und weiß zu wenig über Real Product Cost and Ownership. Dieser Mangel an Wissen verschärft die ohnehin prekäre Situation.Man beginnt zu spät mit der Vorbereitung und ist nicht auf Veränderungen eingestellt
Da es sich bei der Transformation um den Übergang von einem Altsystem zu einem Neuen handelt, sollte man wie bei einem Wohnungsumzug genau überlegen, was man in Zukunft braucht. Eine wichtige Planungsstütze stellt hier die Ist-Analyse bestehender Prozesse und Daten dar. Genau diese kann und muss rechtzeitig begonnen werden, da sie einen deutlichen Impakt auf die Planung und Durchführung der Transformation hat. Ansonsten drohen Projektverzögerungen und verfehlte Deadlines.
Die genannten Ursachen führen schnell zu einem negativen Projektverlauf, insbesondere, wenn sie in Kombination auftreten. Projiziert auf die Transformationsstrategien ergibt sich damit ein deutliches Bild für die Relevanz der vorgestellten Probleme, unabhängig von der Wahl des Weges:

Die in der Tabelle dargestellten Problemwirkungen führen leider auch allzu oft zu Fehlplanungen der Transformation. Die Folgen können Beschränkungen durch einen unnötigen Brownfield-Ansatz sein bezüglich der eigenen Möglichkeiten, oder zu hohe Ambitionen und unerfüllbare Erwartungen. Unterm Strich bedeutet dies, für jede Form der Transformation braucht es eine integrierte und zielgerichtete Analyseumgebung wie die Produkte der IBIS Prof. Thome AG.
Die Analyseergebnisse helfen, die bestehende kundenindividuelle SAP System- und Prozesssituation richtig zu erfassen und zu verstehen, und zeigen darüber hinaus die Potenziale und die Umsetzungsmöglichkeiten in SAP S/4HANA auf. Dieses Verständnis hilft dem Projektteam ebenso wie der Projektsteuerung, und hilft, die Transformation auf einen sicheren Weg zu führen. Und dabei das Schreckgespenst der Inkompetenzkompensationskompetenz – etwas, das sich zwar gut anfühlt, es aber nicht wirklich ist – zu umgehen und zu vermeiden.